Pathophysiologie des Delirs: Glucocorticoide

Glucocorticoide und das Delir – Die Pathophysiologie des Delirs ist weiter nicht geklärt. In dieser Reihe stellen wir unterschiedliche Hypothesen vor, die für die Pathophysiologie des Delirs vorgeschlagen wurden. Heute starten wir mit der Glucocorticoidhypothese.

Zutritt verboten, Glucocorticoide und die Blut-Hirn-Schranke

Endogene Corticosteroide können normalerweise die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren, Grund dafür ist die Tatsache, dass Corticosteroide im Blut an das Corticosteroidbindende Globulin (CBG) gebunden sind. Schaffen sie es doch über die Blut-Hirn-Schranke, so werden sie über den MDR Transporter wieder heraus geschmissen. Man könnte meinen, dass hier der Beitrag zu Ende sein könnte. Doch tatsächlich gibt es Mechanismen, wie Glucocorticoide im Gehirn ankommen können:

  • Überlastung der CBG Bindungskapazitäten in körperlichen Extremsituationen bei hohem endogenen Corticosteroidspiegel oder durch eine Synthesestörung (zum Beispiel bei Eiweißmangel oder Leberversagen) des CBG
  • exogen zugeführtes Kortison (Prednisolon und Methylprednisolon), diese synthetischen Corticosteroide binden nicht an CBG

Wirkungen der Corticosteroide im ZNS

Corticosteroide entfalten diverse neurologische Wirkungen im zentralen Nervensystem, die sowohl zum passageren Funktionsverlust als auch zum Zelltod von Neuronen führen können. Die Wirkung der Corticosteroide ist nicht vollkommen verstanden. Folgende Mechanismen gelten jedoch als gesichert:

  • Mitochondriale Dysfunktion und auf diesem Weg Triggerung der Apoptose
  • Tau-Fehlsortierung: Durch die Hyperphosphorylierung des Cytoskelett Elementes Tau kommt es zur synaptischen Dysfunktion und fehlerhaften Signalübertragung
  • Aktivierung von Mikroglia und auf diesem Weg neuronale Inflammation
  • Genetische und epigenetische Veränderungen, die die neuronale Struktur und Funktion beeinflussen

Durch diese Mechanismen wird klar, warum das Gehirn normalerweise versucht, Glucocorticoide fernzuhalten. Glucocorticoide verursachen auf verschiedensten Wegen neuronale Schädigungen. Die psychiatrischen Effekte sind ausführlich für extern verabreichte Cortisonpräparate beschrieben.

Der Haken an der Sache

Bis hier hin klingt es, als könnte das Problem des Delirs gelöst sein: Glucocorticoide im Gehirn sind nicht gut und, wenn die Krankheit schlimm genug ist, dass sie dort ankommen, verursachen sie Probleme. Nur ist es so, dass täglich Unmengen an Hochdosiscortisonbehandlungen sehr erfolgreich für die verschiedensten Krankheitszustände eingesetzt werden. Jede dieser Dosierungen würde reichen, um die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden. Dennoch kommt es sehr selten zur Entwicklung eines handfesten Delirs unter einer Cortisontherapie. Die zentrale – schädliche Wirkung der Corticosteroide muss also – wenn sie für die Entwicklung eines Delirs verantwortlich ist – beim Gesunden durch einen weiteren Mechanismus unterbunden werden.

Insgesamt erscheint also die Annahme, dass Glucocorticoide bei der Entwicklung eines Delirs eine Rolle spielen durchaus plausibel. Es wird aber wohl noch einiges an Forschung brauchen, um die Rolle der Glucocorticoide genauer zu verstehen.

Quelle:

Maldonado J. R. (2018). Delirium pathophysiology: An updated hypothesis of the etiology of acute brain failure. International journal of geriatric psychiatry33(11), 1428–1457. https://doi.org/10.1002/gps.4823

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